Störfallverein Bad Münder

Reaktionen auf die Absage von Ministerpräsident Sigmar Gabriel


Sehr geehrte Damen und Herren

Der Bericht in der "Neuen Deisterzeitung" v. 30.11.´02 "Gabriel will Ergebnisse vorlegen"
hat uns als Verein damals darauf hoffen lassen, dass von oberster Stelle aus das Problem
gesehen wird und Konsequenzen gezogen werden.
Jetzt wird nun im Artikel der "Neuen Deisterzeitung" bzw. "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung"
v. 15.01.´03 präsentiert, dass zum einen auf den Bericht des Landesfeuerwehrverbandes
verzichtet wird (M.P. Gabriel im Dezember: "...Ich wollte bewusst keine Untersuchung durch die
Behörden selbst."), zum anderen die "offizielle Chronologie der Ereignisse" als Ersatz
herhalten soll.
Eine Chronologie ist nichts anderes als die Beschreibung eines Ablaufes, ohne dass dort
auf Fehlerquellen, Falschbeurteilungen, Änderungsmöglichkeiten etc. hingewiesen wird.
Ein Bericht bzw. eine Untersuchung des Ablaufes hätte diese präsentiert.
Als Trostpflaster wird den Betroffenen und Interessierten jetzt die Einrichtung eines
"Kompetenzzentrums Großschadenslagen" versprochen. Das ist eine tolle Idee, könnte
man meinen. Ein derartiges Trostpflaster haben die Betroffenen nach dem Chemie-Unfall
in Brunsbüttel im Fall "Oostzee" (Epichlorhydrin) auch von ihrer Landesregierung erhalten. Zehn Jahre später kann sich während einer Anhörung im Landtag von Kiel niemand mehr
an ein Kompetenzzentrum oder Expertenteam erinnern.
Großschadenlagen haben glücklicherweise den Vorteil, dass sie sehr selten in einem
einzelnen Bundesland auftreten., allerdings auch damit verbunden den Nachteil, dass ihr
Gefahrenpotential den Verantwortlichen in den Ländern daher nicht laufend bewusst ist.
Das geplante Kompetenzzentrum soll auf Landesebene neben den koordinierenden,
distributiven und administrativen Aufgaben auch für die Prävention zuständig sein.
Frage: Warum sollen Erfahrungen und Handlungsanweisungen nicht bundesweit ausgetauscht
werden ?
Frage: Was bringen niedersächsische Präventivmaßnahmen wenn wir doch alle
wissen, dass Gefahrguttransporte, auf Schiene oder Straße, Landesgrenzen überschreiten?
Frage: Welchen Nutzen hat das schönste Kompetenzzentrum, wenn die Helfer vor Ort
nicht wissen, mit welchen Gefahrgütern sie unmittelbar konfrontiert werden,
da auf technische Lösungen hier aus Ersparnisgründen verzichtet wird ?

Prävention muß bei den Verursachern anfangen, nicht bei den Opfern. Ein niedersächsischer
Alleingang kann dieses nicht leisten.

Für Bad Münder ist die Sache noch längst nicht aus der Welt. An der Unglücksstelle werden
nach wie vor gravierende Werte, unterhalb der Lehmschicht in 8-10 m Tiefe, an
Epichlorhydrin und Chlorpropandiol gemessen. Die Beinahe-Großschadenslage auf
dem Seelzer Bahnhof, (Epichlorhydrin) Anfang Januar ´03, war ein Wink mit dem Zaunpfahl,
die laschen Sicherheitsmaßnahmen von Bahn und Behörden nicht weiter zu tolerieren.
Dirk Reinecke

Dr. Helmut Burdorf -Diplom Chemiker- :
Die Sanierung der Unfallstelle konnte Mitte Oktober 2002 "erfolgreich" abgeschlossen werden.
Der gesamte kontaminierte Boden wurde ausgetauscht, und zwar nicht nur im Bereich der
Unfallstelle und in den nördlich und südlich angrenzenden Bereichen des Bahndamms,
sondern auch entlang des Bahnseitengrabens, durch den in der Unfallnacht erhebliche
Mengen von hoch kontaminiertem Löschwasser geflossen waren. Mit den ca. 12.000 t
ausgekoffertem Boden dürften etwa 5 t ECH erfaßt worden sein, also 10% der Gesamtmenge
im Kesselwaggon. Mit Löschwasser und dem Regen am Dienstag sollen nach Berechnung
der Gutachter ca. 10 bis 15 t ECH in das Oberflächengewässer (die "Hamel") ausgetragen
worden sein; sie führten dort zu einer Abtötung der gesamten Biologie über etwa 20 km.
Da fast 5 t ECH im verunfallten Kesselwaggon verblieben waren, sind also wohl ca. 25 bis 30 t
ECH verbrannt bzw. haben sich in unzersetzter Form über ein Gebiet von mehr als 10 km² verteilt.

Die Sanierungs-Gutachter waren sich eigentlich sicher, daß mit Abschluß des Bodenaustauschs
auch keine Grundwassergefährdung mehr zu erwarten sei, zumal das Grundwasser im Bereich
der Unfallstelle durch eine etwa 6-8 m mächtige Lößlehmschicht geschützt ist. Nun wurden
aber Ende November 2002 in 2 Grundwassermessstellen westlich des Bahndamms z.T.
erhebliche Schadstoffkonzentrationen entdeckt:
- in einer Messstelle neben der Unfallstelle
ca. 200 - 450 mg/l CPD und 4 - 13 mg/l ECH
- in einer Messstelle neben dem weiter südlich verlaufenden Seitengraben
ca. 4 mg/l CPD und 0,3 mg/l ECH.

Es ist geplant, das belastete Grundwasser abzupumpen und über A-Kohle-Filter zu reinigen.
Als Sanierungszielwert kann letztlich nur die Nachweisgrenze von ECH bzw. CPD in Wasser
angenommen werden, da ein entsprechender Grenzwert, an dem man sich orientieren könnte,
nicht existiert. Ein z.T. vergleichbarer Grenzwert stellt höchstens der Pestizid-Grenzwert
der TVO (Trinkwasserverordnung,D.R.) dar (0,1 µg/l). Die Nachweisgrenze für CPD bzw. ECH
wird aber kaum auf wesentlich weniger als 10 - 20 µg/l abzusenken sein.
Diese Grenze wurde für CPD also in der ersten Messstelle um den Faktor 20000 - 30000
und in der zweiten Messstelle etwa um den Faktor 300 überschritten. Das gibt einen
allgemeinen Eindruck über die zu erwartende Dauer der anstehenden Grundwassersanierung.
Bad Münder d. 16.01.´03