Kurzzusammenfassung einer Leidensgeschichte
Bad Münder d. 27.10.2002
Betreff: Zugunglück vom 09.09.2002 in Bad Münder
Bericht Anfang (weitgehend anonymisiert)
Während des Zusammenstosses der Güterzüge waren
meine beiden Fenster und die Terassentür zur Unfallstelle weit geöffnet.
Ich befand mich im Bett. Nahm an, es handelt sich um eine
Katastrophenschutzübung zum bevorstehenden 11.09.02.
Eine Warnung oder Durchsage zum Ernst der Lage gab es nicht.
22.30 Uhr: kam es zur Evakuierung, die sehr schleppend und unkoordiniert
verlief. Feuerwehrleute sagten nichts von Giftsubstanzen,
DRK-Einsatzkräfte wussten nichts.
Nachdem wir Patienten eiligst aus den schützenden Räumen geholt wurden,
mussten wir ca. 50 Minuten unter freiem Himmel auf dem Klinikgelände.
Währenddessen rief mich mein Mann über Handy an, um uns über den
derzeitigen Kenntnisstand des Zugunglückes zu informieren.
Erspielte mir die aufgezeichnete Radiodurchsage ab, bei der u.a. vom
hochgiftigem Epichlorhydrin die Rede war.
Diese Information gab ich an Einsatz- und Rettungskräfte weiter.
Sammelstelle für uns war eine Schule in Bad Münder. Wir erhieltem
eine Begleitkarte vom DRK, die wir ausfüllten.
Da der wind die Giftgaswolke zu uns herübertrieb, wurden wir in die
Deister-Süntel-Klinik gebracht. Nachdem alle Evakuierten gut
verpflegtund mit einer Schlafstelle versorgt waren,
gab es um 2.30 Uhr Entwarnung. Wir wurden durch das DRK wieder
nach Hachmühlen in das Friederikenstift zurückgebracht.
Um 3.00 Uhr waren wir alle wieder in unseren Zimmern. Fenster
und Türen standen weit geöffnet, in den Räumen war ein starker,
beißender Geruch vorhanden.
Ich litt unter Kopfschmerzen, Augen- und Atemreizungen,Wundgefühl
im Hals- und Rachenraum, Brennen der Zunge und Atemwege,
pelzigem Gefühl im Mundraum, Geschmacksverlust, Durchfall.
Um 7.30 begab ich mich zu meinen Behandlungen. Von 9.30 Uhr bis
10.30 Uhr hielt ich mich im Wasser des Therapiebeckens zur
Bewegungstherapie auf. Hier war der Gestank sehr intensiv und konzentriert.
Die Belüftung der Räume musste abgestellt werden, da über den
Filter noch mehr Geruchsbelästigung verbreitet wurde.
Sonntag, den 15.09.02, 8.30 Uhr Mitteilung durch Hausleiter Herr B.,
dass wir um 10.00 Uhr erneut für unbestimmte Zeit evakuiert werden.
16.09.02 Anruf durch Mitarbeiter der Klinik, Rückkehr und Behandlung
ab Mittag wieder möglich.
17.09.02 Blutabnahme im Friederikenstift. Untersuchung auf
Schädigung der Leber und Nieren, Restblutprobe unter
Nr. 4052 vom Gesundheitsamt eingefroren.
30.09.02 Mein Wundgefühl von Mund und Rachenraum hält weiter an,
das starke Zungenbrennen und der Geschmacksverlust und die
Riechbeeinträchtigung bleiben bestehen. Dr. X versichert mir,
es sind Medikamentennebenwirkungen. Bei deren Absetzung geht alles wieder weg.
06.10.02 / 07.10.02 Zunge extrem angeschwollen, sehr
Schmerzhaft, Sprechen nicht möglich, Übelkeit, Kreislaufprobleme. Nach
Besserung brennen der Zunge, pelziges Gefühl und Geschmacksverlust
geblieben.Dr. X und Dr. Y veranlassen zwecks Abklärung und Hilfe einen
Termin bei der HNO-Fachärztin Frau Dr. Z in .. ..
08.10.02, 11.00 Uhr Untersuchung durch Fr. Dr. Z, die die Ursache
meiner Beschwerden im Giftgasunfall vermutet. Medikamentennebenwirkungen
und allergische Reaktionen konnte sie ausschließen. Einen Pilzbefall hielt
sie für unwahrscheinlich. Um sicher zu gehen wurde ein Abstrich gemacht
und eine Kultur angelegt, dessen Ergebnis voraussichtlich am 21.10.02 vorliegen wird.
Rezeptverordnung für mich,Therapieempfehlung für OA Dr. X; Dontisolon,
Wirkstoff Prednisolon – 21-acetat- Mundheilpaste, die ich 3x täglich auf die
Zunge aufbringen soll.
Wirkt entzündungshemmend, abschwellend,schmerzlindernd. Wenn Zunge
wieder anschwillt, soll Cortison i. V. injiziert oder p. 05 verabreicht werden.
15.10.02 Erneut akute Zungenschwellung, Brennen, Übelkeit, kleinste
Zungenbewegung sehr schmerzhaft, Kreislaufprobleme.
16.10.02, 10.00 Uhr Untersuchung durch Fr. Dr. Z. Diagnose: Quinke Ödem
der Zunge. Ergebnis der Pilzkultur war negativ, auch kein Anhalt für Tumor
.
Zunge war noch immer recht groß und bereitete Sprachschwierigkeiten.
Rezept: Dontisolon 3x täglich,Decortin 50mg. Bei Bedarf kann ich
auch 100mg nehmen.
18.10.02 Akute Zungenschwellung dto. Dontisolonbehandlungund 100mg Decortin.
20.10.02 Schriftliche Bescheinigung nach Untersuchung durch ZA Dr. W. Diagnose:
Kein Anhalt auf allergisches Geschehen, dass von den Zähnen seinen Ausgang nimmt.
23.10.02 Ich erstatte Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hannover gegen die
Verantwortlichen für das Zugunglück von Bad Münder. Stelle Antrag auf
Beweissicherungsverfahren und Untersuchung der DN A –Addukte.
24.10.02, 07.10. Uhr Blutabnahme im Friederikenstift für großes Blutbild,
Schilddrüsenwerte, Quicktest und anderes.
08.30 Uhr Nachuntersuchung bei der HNO- Fachärztin Fr. Dr. Z. Diagnose:
Zunge noch immer beträchtlich geschwollen, die Gesundheitsstörungen,
die eine nicht unerhebliche Lebensbeeinträchtigung darstellen, sind geblieben.
Medikation weiter wie bisher. Dr. X und Dr. Y bekommen Befund zugeschickt.
Vermutete Ursache verhärtet sich, bleibt weiterhin das Giftgas!
26.10.02, 10.00-11.00 Uhr Blutabnahme in Bad Münder auf Veranlassung vom
Gesundheitsamt für spätere Untersuchung auf Hämoglobinaddukte, sowie
Leberwertkontrolle bei Personen mit auffälligen Befunden. Anfrage und
Bitte von mir auf Kontrolle der D N A Addukte. Antwort: Muss gesondert
erfolgen! Nach Entnahme von 10ml Blut fiel meine Vene zusammen.
Ich fragte nach, warum unbedingt noch weiteres Blut gebraucht wird.
Laut schriftlicher Mitteilung vom 18.09.02 zeigten sich bei mir keine
Auffälligkeiten, eine Diagnostik sei nicht erforderlich. Darauf erhielt ich
folgende Antwort: Bedingt durch Personalüberlastung und sehr vielen
Blutproben wurde mir ein falsches Untersuchungsergebnis zugeschickt.
Meine vorherige Blutproben seien in keiner Weise in Ordnung gewesen.
Da akute Schädigungen festgestellt wurden, stehen auch zwei Kreuze
auf meinem Diagnostikzettel. Ein Arzt nahm mir dann aus der anderen
Armvene das für die Feststellung der Leberwerte benötigte Blut ab.
Ein Mitarbeiter des Friederikenstiftes bemerkte und korrigierte eine auf
seinem Blutröhrchen falsch aufgeklebte Identitäts-Nr. Es passierten also
auch am 26.10.02 Fehler.
23.00 Uhr starke Anschwellung meiner Zunge mit Punktblutungen an
den Stellen, die besonders stark brennen. 100mg Decortin, Dontisolon,
Informationen an die diensthabenden Mitarbeiter.
Hachmühlen, den 27.10.02
Bericht Ende